Samstag, 27. August 2011

Die Ankunft

Da freut man sich, dass der kleine Muck die Augen zum ersten Mal seit heute früh 5.30 Uhr mal länger geschlossen hält als nur 2 Minuten, legt ihn vooooooorsichtig ins Beistellbettchen, beginnt zaghaft in die Tasten zu hauen und schwupp - ein Babyniesen und auf sind die Äuglein. Hachja...

Wir sind seit Donnerstag Mittag wieder Zuhause. Eigentlich war die Entlassung für heute Vormittag geplant, aber mir ging es überraschend schnell wieder besser, das Zuckerwattenbaby legte von Mittwoch auf Donnerstag gute 60 Gramm zu und weil die Wöchnerinnenstation obendrein völlig überlaufen war, zeigte sich das Personal eher dankbar, als sie unseren Wunsch hörten, doch bitte etwas früher in heimische Gefilde zurückkehren zu dürfen. Ein bisschen schade war unser überraschender Aufbruch dann aber schon, konnte ich mich somit nicht von meiner liebsten Kinderkrankenschwester verabschieden, die sich so rührend um uns gekümmert hat. Ohnehin mag ja am (Vor)Tag der Geburt einiges schief gelaufen zu sein, aber die Fürsorge, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Geduld und Liebenswürdigkeit der Schwestern hat für vieles, vieles entschädigt. Mit Geld sind sie kaum zu entlohnen, diese Frauen. Ich bin ihnen sehr dankbar.

Auf der Kreißsaalstation lief es hingegen schon wesentlich durchwachsener. Aber von vorne:

Am Sonntag, den 21. August 2011 stiegen wir gegen 11 Uhr mit Sack, Pack und Kindersitz in ein Taxi und ließen uns ins Krankenhaus chauffieren.

11.30 Uhr Ankunft im KH; dort haben wir erstmal alle Formalitäten erledigt, ich wurde stationär aufgenommen und bin mit der Akte in der Hand in den Kreißsaal geschickt wurden.

12 Uhr Erstes CTG geschrieben, alles schick, alles super. Danach sollten wir erstmal unser Familienzimmer beziehen und uns danach wieder im Kreißsaal melden.

12.30 Uhr Zurück im Kreißsaal wurde ich wieder ans CTG angeschlossen und hab die erste viertel Tablette bekommen. 45 Minuten solle ich jetzt am Gerät bleiben, hieß es. Also lauschten wir den Herztönen unseres Sohnes und blödelten ein bisschen herum. Eine Wehe bahnte sich an, nix dolles, aber immerhin - ein Anfang! 10 Minuten später eine zweite Miniwehe. Weitere 10 Minuten später die nächste und ZACK sanken die Herztöne des Babys bis auf 60 Schläge. Wir sahen uns ziemlich unsicher an und Jon fragte nur, ob er vielleicht mal den Alarmknopf drücken sollte, als auch schon die Tür aufflog und die Hebamme in den Raum stürzte. Ich hab das nur noch schemenhaft in Erinnerung, aber es brüllte jemand nach der Ärztin, die kam auch gleich angeschossen und legte mir einen Zugang, während die Hebamme mir sagte, ich möge jetzt bitte sofort so und so atmen, das würde dem Baby helfen. Hab ich auch brav gemacht und die Herztöne gingen wieder rauf.
Er hätte auf die Wehen reagiert, hieß es. Das wäre nicht so gut, hätten sich die Herztöne nicht wieder gebessert, hätte man mir Wehenhemmer geben müssen, deshalb auch der Zugang, den man mir schnell gelegt hatte.

Das alles wäre erstmal nicht so dramatisch, aber die Konsequenz wäre jetzt, dass ich noch mindestens eine halbe Stunde am CTG bleiben müsste und jede Stunde wieder ran müsste, statt sonst wie üblich die nächsten drei Stunden bis zur zweiten Tablette meine Ruhe zu haben.
Also blieb ich am CTG hängen und die Herztöne blieben soweit stabil. Nach insgesamt ungefähr 1 1/2 Stunden CTG durfte ich ENDLICH aufstehen und bis zur nächsten Tablette ins Zimmer gehen.

14 Uhr Schichtwechsel der Hebammen und damit begann das wirkliche Elend.
Die neue Hebamme schloss mich ans CTG, gab mir eine weitere Tablette und legte mir weder etwas unter den Bauch zum abstützen, noch etwas zwischen die Knie, sagte, so müsse ich jetzt eine halbe Stunde liegen bleiben und verschwand für etwa 1 Stunde.
Meine Beine begannen zu schmerzen, meine Hüfte ebenfalls und irgendwann konnte Jon sich das nicht mehr mit angucken und hat nach der Hebamme geklingelt. Sie kam dann auch und sagte nur, ich müsse da jetzt aber noch dran bleiben, das Baby würde reagieren. Aber ich könne so nicht mehr liegen, meinte ich. Da stöhnte sie ein bisschen genervt auf und meinte, nebenan würd halt auch ne Geburt laufen und da würde man sie jawohl auch brauchen. Aber sie stöpselte mich vom Gerät an und sagte, dann müsse ich aber in einer Stunde wieder hier sein, um wieder ein CTG zu schreiben. Gesagt, getan.

Um das mal abzukürzen - so ging das fast ihre gesamte Schicht hindurch. Sie dirigierte mich auf die Liege, nichts zum Bauch abstützen, kein Kissen für die Knie, sagte, sie komme in 20 Minuten wieder und blieb mindestens eine Stunde weg.

Irgendwann nachmittags (Uhrzeit hab ich vergessen, hab ohnehin kaum mehr Zeitgefühl für den Tag) schließt sie mich ans CTG und die angezeigten Herztöne lagen bei 90, sie stöhnt auf, rollt mit den Augen, rennt aus dem Zimmer, kommt mit einer Ärztin im Schlepptau zurück und knallt mir den Wehenhemmer in den Zugang. Sie sagte etwas von "Gleich kriegen Sie Herzrasen" und schon schoss mir das Herz aus der Brust. Ich dachte kurz, das wäre mein Ende, das überleb ich nicht. Dann fing sich mein Herz wieder, aber meine Muskeln begannen unkontrolliert zu zucken. Nach 10 Minuten war aber auch das vorbei.

Man erklärte uns wieder nur, das Baby würde auf die Einleitung reagieren, das müsse man beobachten. Ich müsse am CTG bleiben. Auf Nachfragen antwortete die Ärztin eher sporadisch und wir fügten uns unserem Schicksal. Ich stand so neben der Spur, mir war fast alles egal. Ich hatte einfach nur Angst um mein Baby. In den 3 von knapp 23 Stunden, die ich nicht am CTG lag hab ich mich immerzu gefragt, was seine Herztöne wohl jetzt machen und ob sein Herzchen wohl noch schlägt, wenn wir zum nächsten CTG erscheinen mussten. Es war eine einzige emotionale Qual.

22 Uhr Schichtwechsel der Hebammen und mein blauer Hebammenengel Nana trat ihren Dienst an.
Nachdem uns also 8 Stunden lang niemand mehr sagte als "Ihr Baby reagiert, Sie müssen hier liegen bleiben" und ich mittlerweile das Gefühl hatte, keine Wehe mehr zu spüren, weil meine Beine so höllisch schmerzten, trat Nana ihren Dienst an und sie erklärte uns mit ruhiger Stimme, was das überhaupt bedeutet "Ihr Baby reagiert". Es hätte Stress. Das wäre eigentlich normal, wäre ich unter der Geburt gewesen, aber ich hatte keine erwähnenswerten Wehen, der Gebärmutterhals war nicht verstrichen und der MuMu erst bei einem Zentimeter, das wäre alles kein so tolles Zeichen. Wenn er auf die bisschen Miniwehen also schon so reagierte, stellte sich die Frage, wie er erst mit echten Wehen umgehen sollte. Wäre der MuMu weiter geöffnet, könnte sie ihm wenigstens Blut aus dem Kopf entnehmen und seinen Sauerstoffgehalt überprüfen, so aber wäre alles reine Spekulation und das mache es so schwierig die Situation einzuschätzen.

Nana sagte, eine Möglichkeit wäre es, mich an den Wehentropf anzuschließen. Den könne man abstellen, wann immer Babys Herztöne wieder schlecht werden würden, eine Tablette wäre im Blutkreislauf und dann hätte man den Salat. Entweder er fängt sich unter dem Einfluss des Wehentropfs wieder oder aber ihm geht's dann noch schlechter. Für den Fall würde man sofort einen Kaiserschnitt machen.

Also wechselten wir in den Kreißsaal, der Mann durfte sich ins Kreißsaalbett legen, nachdem er 10 Stunden auf einem harten Stuhl gesessen hatte und mir hatte sie mein Bett auf den Kreißsaal schieben lassen. Endlich bequem liegen! Eine echte Wohltat und Erleichterung. Ich hätte weinen können.
Ich wurde an den Tropf angeschlossen und Nana bat mich, bitte nicht aufs CTG zu gucken, um mich selbst nicht ängstlicher zu machen, als ich eh schon war. Sie sagte, ich solle versuchen zu dösen und zu entspannen und es gelang mir tatsächlich so einigermaßen, wenn ich auch hie' und da eine Wehe veratmen musste. (aber ehrlich kaum der Rede wert). 1 1/2 - 2 Stunden lag ich da also, bis Nana in den Kreißsaal kam und ziemlich ernst aussah. Die Herztöne vom Kleinen wurden schlechter und schlechter, am Ende gingen sie alle 2 Minuten in den Keller. Das wäre nicht länger tragbar, er müsse so schnell es geht raus, sagte sie. Da wäre grad noch jemand im OP, aber sobald sie dort fertig sind, müsse ich rein.

Und ab hier übergebe ich das Wort an den Mann. Ab hier habe ich mich ausgeblendet, habe die Augen geschlossen und stumm Anweisungen befolgt. Ab hier war ich bis zum ersten Schrei unseres Sohnes nicht mehr da. Ich war weg, ganz weit weg.

Irgendwann gegen 01:00 Uhr kommt die Hebamme herein und verkündet: auch diese Option ist gescheitert. Unser Sohn reagiert zu heftig, dabei sind noch keine Geburtswehen in Aussicht, der Muttermund ist auch noch nicht geöffnet. Die Geburtswehen würde er nicht überstehen. Die Situation spitzt sich zu. Letzte Möglichkeit: Kaiserschnitt. Und zwar so schnell wie möglich.

Gemischte Gefühle, Überwältigung, Angst, Schrecken und Erleichterung. Wir fügen uns, wir sind kraftlos, nehmen unser Schicksal an. Katie ist auf einer gewissen Ebene froh. Endlich eine Entscheidung, endlich Klarheit. Und keinen Geburtshorrortrip. Zwar wollten wir nie einen Kaiserschnitt, aber in dieser Situation ist er eine Erlösung. Eine angstvolle Erlösung. Keine 3 Tage mehr, keine ewig erscheinenden Wehen, keine Hinauszögerung. In einer Stunde, wenn der OP frei wird, geht es los. Ohne Schonfrist, ohne Spielerei. Um kurz vor 2 Uhr wird es ernst. Nana versucht eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Dann kommen die rabiate Ärztin und die Anästhesistin herein. Sie beginnen uns in dieser angstvollen Extremsituation die Risiken des Kaiserschnitts im Allgemeinen und die der Narkose im speziellen herunterzurattern. Das müssen sie, das ist ihre Pflicht. Trotzdem absolut unpassend. Querschnittslähmung, Aids und Hepatitis durch Blutinfusion, irreparable Schäden der Gebärmutter, Verletzung des Kindskopfes beim Aufschneiden, usw. Die Liste ist lang und grotesk. Ich versuche nicht mehr hinzuhören, zu verdrängen, die Angst sitzt mir im Nacken. Katie scheint äußerlich ruhig. Ich höre nur noch Schlagworte und Satzfragmente, die meine Panik noch verstärken. Jetzt geht alles schnell, so schnell... Ich beginne loszulassen, die Kontrolle zu verlieren und aufzugeben. Ich lasse mich von der Situation mitschleifen, agiere nicht mehr, ich reagiere nur noch automatisiert und mechanisch, treffe keine Entscheidungen mehr. Ich muss akzeptieren, muss funktionieren.

Der Film beginnt und lässt sich nicht mehr beeinflussen oder stoppen. Ich sehe mich, wie ich zusammen mit der Hebamme Katie im Bett liegend in den OP schiebe. Die Atmosphäre dort ist so ziemlich das Gegenteil von meiner Stimmung. Gelöste Heiterkeit und Routine. Es hat etwas davon, Katie - die Frau die ich liebe und die unseren Sohn in sich trägt - zur Schlachtbank zu schieben. Ich zittere innerlich, habe Angst aber ich weiß auch: jetzt ist alles, wie es ist, es ist völlig egal, wie es mir geht. Die Situation wird unwiderruflich weiter gehen, der Point of no Return ist überschnitten, es gibt kein Zurück. Egal, ob mir das gefällt. Auf mich muss nun verlass sein. Ich muss unseren Sohn gleich entgegen nehmen. Nicht morgen, nicht übermorgen, nein, in ca. 10 Minuten. Überwältigend. Alles ist dermaßen surreal, wie ein verrückter Traum. Ein Albtraum, der uns allerdings endlich zu unserem Sohn führt. Ich werde mit geschliffen in einen sterilen Umkleideraum, ziehe wie ein Roboter OP Klamotten, einen Mundschutz und Haube an und soll in einem Vorraum warten, bis die Operationsvorbereitungen abgeschlossen sind und ich dazu geholt werde. Es ist heiß, der Schweiß rinnt mir in Strömen herunter. Ich überlege, wo ich gleich hin kotzen kann. Mein Herz rast, ich fühle mich einer Ohnmacht nahe. Eine Panikattacke und in 5 Minuten soll ich in den OP. Um mich herum wuseln in routinierter Professionalität grün gekleidete Wesen herum, Ärzte, Krankenschwestern. Ich sehe mich selbst dazwischen, wie in einem Film. Ich bin vollkommen handlungsunfähig, habe eine Vision:

Gleich wird die perfekte, in sich geschlossene Welt meines Sohnes aufgerissen. Der Raum bricht auf, riesige Hände von noch riesigeren grün gekleideten Aliens werden ihn aus seiner Realität heraus reißen und medizinische Experimente an ihm durchführen. Die perverse Science Fictionhaftigkeit seiner Geburtserfahrung wird mir voll bewusst. Die Räumlichkeit kommt mir inzwischen vor wie eine Mischung aus UFO und Schlachthaus. Steril, metallisch und entartet. Mein Sohn tut mir leid. So leid.

Meine Panikattacke mildert sich ab, kurz bevor ich nach einer gefühlten Unendlichkeit in den OP geholt werde. Ich danke dem Universum dafür. Im OP sehe ich Katie auf einer Trage liegen, die Spinalanästhesie wurde bereits erfolgreich durchgeführt. Sie ist von der Hüfte an Abwärts gelähmt. Kurz hinter ihrer Brust ist ein Vorhang aufgebaut, damit sie und ich nicht den eigentlichen Operationsvorgang sehen können. Die Situation ist dermaßen surreal und bedeutungsvoll zu gleich, dass es kaum zu ertragen ist. Ich frage mich, wie ich das alles jemals verarbeiten soll. In wenigen Minuten ist er da, der Moment, der unser Leben von Grund auf verändern wird. Ich halte Katies Hand und sage ihr, dass alles gut ist, während ich höre, wie sie aufgeschnitten wird und bin heilfroh über den Vorhang. Ehe ich mich versehe ist es da: das erste empörte, entsetzte Brüllen unseres Sohnes. Er wird aus Katie herausgezerrt und uns kurz im Vorbeigehen gezeigt. Ein winziges, lila farbiges Etwas. Dann bringen ihn die Außerirdischen kurz in ihr Behandlungszimmer. Sein Schreien zerreißt uns fast das Herz. Und nach sich ewig anfühlenden 5 Minuten tragen sie ihn endlich wieder gut verpackt zu uns herein und legen ihn auf Katies nackte Brust. Bonding. Eine lebenslange Bindung soll entstehen, wie in dem Film A.I.

Sofort beginnen wir intuitiv so viel wie möglich mit ihm zu sprechen, damit er wenigstens bekannte Stimmen hört, nach dem seine Realität zusammen gebrochen ist und er schlagartig in eine neue gesetzt wurde. Es funktioniert, er hört auf zu schreien. Das Gefühl ist unglaublich und in keinster Weise zu beschreiben. Keine Worte. Mir fällt nur ein Zitat aus dem Film Contact ein:

"Sie hätten einen Dichter schicken sollen".

Jetzt geht alles ganz schnell. Die Aliens nähen Katie wieder zu, geben ihr unseren Sohn und schieben sie mit Bett wieder in den Kreißsaal. Ich ziehe die OP Klamotten aus und folge ihr wie ein Wesen aus reiner Energie. Da sehe ich sie liegen: Tränen in den Augen, einen ganz neuen, frischen Menschen auf der Brust, der noch ganz und gar nicht angekommen ist in unserer Welt. Es passiert selten, aber ich bin sprachlos. Mir fehlen die Worte.



2 Kommentare:

  1. Ich sitz da und hab Tränen in den Augen. Sehr drastisch und vor allem plastisch wie ihr das alles beschreibt. Wünsch euch dreien alles gute.

    lg aus dem Süden.

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  2. Erst Mal herzlichen Glückwunsch nachträglich zur Geburt!

    Wow wenn ich das immer so lese, mit diesen Einleitungstabletten, dann bin ich echt froh, dass ich keine bekommen habe. Davor hatte ich echt Angst und es zeigt sich immer wieder, dass die nicht unberechtigt ist.
    Ich bin bei ET+10 ins KH eingewiesen worden, weil mein Blutdruck zu hoch war (ansonsten wärs zwei Tage später passiert). Bekam Abends einen natürlich Wehencocktail aus Rizinusöl, Madelmuß und Mineralwasser. Bis zum Frühstück am nächsten Morgen waren die Wehen kaum der Rede wert, eher wie leichte Rückenschmerzen, konnte gut schlafen. Morgens platzte dann die Fruchtblase, ab da gings richtig los. 6 Stunden später war der kleine Mann dann da.

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